Dienstag, 14. Januar 2014

Tagebucheintrag Johann über Ludwig

Liebe Klasse,

hier ein sehr guter Tagebucheintrag über das Verhältnis zwischen Johann und Ludwig in der ersten Zeit. Wenn ihr ihn durchlest, achtet vor allem auf die lebendige Sprache bei Gedanken.

Liebe Grüße
Euer Klassenlehrer



Liebes Tagebuch,
es ist jetzt genau zwei Wochen her, seit ich das erste Mal etwas mit Ludwig unternommen hatte. Es ist spät, ich kann nicht einschlafen, so viele unzählige Gedanken gehen durch meinen Kopf. Ich habe das Fenster ein wenig geöffnet, damit ich das Rauschen der Fahrzeuge, die die Brücke überqueren, besser hören kann. Ich spüre den leichten Windzug, der über mein Gesicht streicht. Unglaublich, wie schnell sich das Leben verändern kann. Ich erinnere mich noch genau daran, wie sehnlich ich mir einen besten Freund wünschte. Und dann kam Ludwig in meine Klasse und alles änderte sich. Ich sehe ihn noch bildlich vorne im Klassezimmer, links von der Tür, neben dem Rektor stehen und sehe wie er lacht. Ich weiß nicht, wieso, aber schon ab diesem Moment, begann ich ihn mit mir zu vergleichen. Er entsprach meiner persönlichen Vorstellung eines sogenannten besten Freundes und vor allem ist er mir ähnlich, zumindest vom Aussehen her. Ich hatte die Hoffnung, dass er derjenige ist, mit dem ich Spaß haben konnte, derjenige, mit dem ich ununterbrochen spielen konnte. Ich hoffte, dass er anders ist als all die andern. Irgendwann tauschten wir unsere Nummern aus. Jedoch wollte ich nicht den ersten Schritt machen. Ich wollte, dass ich für jemanden wichtig bin und diese Wichtigkeit verspürte ich nur, wenn sich jemand bei mir meldete. Naja, vielleicht ist das nur eine Ausrede dafür, dass es in Wirklichkeit uncool war jemanden anzurufen und möglicherweise war es auch die Angst davor, er würde mich nicht mögen. Als jedoch eines Tages das Telefon klingelte und er mich sprechen wollte, breitete sich in mir ein riesiges Glücksgefühl aus. Heute vor zwei Wochen, hatte ich endlich einen besten Freund. Natürlich merkte ich das nicht sofort, aber im Nachhinein ist mir das bewusst geworden, ich spürte es. Ich war sehr aufgeregt an diesem Tag, aufgeregt darauf, ob er tatsächlich so ist, wie ich es vermutete. Wir spielten in der Werkstatt neben seinem Haus, in der sein Vater Motorräder repariert. Es machte Spaß, auf den defekten Motorrädern zu sitzen und einfach nur unbeschwert zu spielen. Ludwig schlug irgendwann vor, zur Brücke hinauf zu gehen.
Zuerst war ich davon begeistert, denn ich war noch nie zu vor dort oben, obwohl sie ja praktisch neben Ludwigs Haus steht, doch kurz darauf verfloss diese Begeisterung. Es machte sich Angst in mir breit, als wir den steilen, hohen Hügel hinaufstiegen. Es war Ludwig der mich schlagfertig davon überzeugte. Ich war froh, dass ich mich überwunden hatte. Das spürte ich auch, als wir nach vielem Stürzen und Wiederaufstehen endlich oben angekommen waren. Nie werde ich das Gefühl, das ich in jenem Augenblick hatte, vergessen. Ich fühlte mich wie weg, ganz weit weg von dem allem, es war, als wäre ich schlaftrunken. Und ich fühlte mich mächtig, überlegen, von all den Dingen, die mir dort unten, auf die ich hinabblickte, Druck machten. Es war das Gefühl von Freiheit und Glück gemischt, ich stand mit meinem besten Freund auf dieser Brücke, nur wir beide, es war viel zu viel gefährlich dort oben für Kinder in unserem Alter, doch genau diese Überwindung oder sogar Stellung der Gefahr, das machte uns so frei. Dieses Erlebnis zähle ich heute noch zu einem Höhepunkt in meinem Leben. Es ging mir gut, gut, wie es besser nicht sein könnte. Natürlich hatte mich die Angst aber wieder eingeholt und ich wollte zurück. Ludwig wollte jedoch noch die Straße überqueren, was mich ins schauern brachte, ich sah den eigenen Tod darin. Ludwig sagte dass er auch jemand anderen anrufen hätte können. Ich wusste das, ja. Und ich wollte ihn nicht enttäuschen, schließlich waren wir ja noch keine Freunde und wenn man noch nicht befreundet ist, bemüht man sich umso mehr, dem anderen zu gefallen. Somit ließ ich mich letztendlich überreden und alles hat prima geklappt. Im Prinzip weckte es in mir nur ein weiteres Glücksgefühl, ich war selbst stolz auf mich, dass ich meine Angst überwinden konnte. Am Abend, als wir wieder bei Ludwig waren, aßen wir Pfannkuchen. Seine Schwester Vera aß mit uns, es nervte mich. Sie mischte sich irgendwie ein und das passte mir gar nicht. Wir blieben lange auf, länger als mit den anderen, doch als Ludwig um halb zwölf einschlief, war ich ein bisschen traurig. Vielleicht konnte er nicht mein Freund sein, ich meine, ich hatte ihn anders eingeschätzt. Ich habe ihn falsch eingeschätzt. Er war wie die anderen. Und ich mochte sein Zimmer nicht. Es war unheimlich. Ich wollte nach Hause, in mein eigenes Bett.
Ich wollte keine Enttäuschungen, ich konnte nicht damit umgehen. Ich lag ewig wach und dachte nach, so wie heute. Nur, dass es mir zu diesem Zeitpunkt nicht gut ging, ich wollte einfach nur raus aus diesem Haus, es war so anders dort, so ungewohnt. Ich starrte auf den Wecker und es fühlte sich so unerträglich an. Die Räume beängstigten mich. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Geräusch von draußen. Ludwig wachte auf, soeben lag er da noch friedlich und schlief tief und fest. In weniger als einer Sekunde war er schlagartig hellwach. Ich war verwirrt, damit hatte ich nicht gerechnet. Es folgte das Erlebnis, das uns endgültig zu besten Freunden werden ließ, an dem ich ein paar Sekunden zuvor noch zweifelte. Wir gingen nach draußen und da lag sie, das Mädchen. Reglos und verkrümmt. Sowas hatte ich noch nie zuvor erlebt. Da lag ein totes Mädchen vor mir, sie lag da einfach. Auf so etwas war ich nicht vorbereitet und jetzt konfrontierte es mich, wie aus dem Nichts. Ich war froh, dass Ludwig da war, es beruhigte mich. Und ich war überrascht, wie er damit umging, für ihn war das, als hätte er das schon tausendmal miterlebt, irgendwie so selbstverständlich. Ich bewunderte ihn dafür. Er fasste sie sogar an, während ich sie anfangs nicht einmal anschauen konnte, aus Angst. Nie im Leben hätte ich mich dem Mädchen auch nur annähernd genähert, aber Ludwig hatte diese Art, mich von allem zu überzeugen, mich zu allem zu überreden. Und wäre ich nach Hause gegangen und wäre das Mädchen nicht dort gelegen, wären wir niemals beste Freunde geworden. Wir hatten etwas, das uns seit dort an verband, etwas das nur wir beide teilten und für mich war es ein weiteres Erlebnis, dass mich erneut einer Angst stellte. Es war die Art, wie Ludwig mit Dingen umging, die ich fürchtete. Es war die Art, wie er mir half diese Angst zu überwinden. Ich bin ihm unendlich dankbar dafür. Später dann, im Spätsommer, veränderten wir beide uns soweit, dass wir die Faszination und Fantasie die wir beim Spielen hatten, hinterfragten und somit damit aufhörten. Ich stelle mir oft vor, wie es ohne Ludwig gewesen wäre. Hätte ich den Sinn vom Spielen nicht hinterfragt? Wäre ich sozusagen „zurück geblieben“? Ich bin froh, dass ich damit nicht alleine abschließen musste, dass ich wusste, dass da jemand ist, der so ist wie ich, der mich versteht, ein Gleichgesinnter. 

Von DH

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